Erinnerung an Dieter Janz

Nachruf auf Professor emeritus Dr. med. Dieter Janz (20. April 1920 – 25. Dezember 2016)

von Peter Wolf

Am 25.Dezember 2016 hat die deutsche und internationale Epileptologie einen ihrer ganz Großen verloren, als Prof. Dieter Janz im Alter von 96 Jahren von uns gegangen ist. Er hat wie kein anderer die Entwicklung der Epileptologie in unserem Lande nach 1945 gefördert und in vieler Hinsicht geprägt und nahm bis zu seinem Ende an allen Entwicklungen lebhaften Anteil.

Dieter Janz' wissenschaftlicher Zugang zur Neurologie und Epilepsie fußte ganz und gar auf der sorgfältigen klinischen Beobachtung und Analyse. Hilfsmethoden wie das EEG spielten eine wichtige, aber untergeordnete Rolle. Der Begriff "elektroklinisches Syndrom" war ihm daher ein Greuel. Welche Gegebenheiten steckten vielmehr hinter der tageszeitlichen Bindung und den Wiederholungsmustern mancher Anfälle, der Altersbindung bestimmter Epilepsien oder den Bewegungsschablonen der verschiedenen motorischen Anfälle? Warum kamen bestimmte Anfallsarten wie Absencen, myoklonische Anfälle und große Anfälle vom Aufwachtyp einerseits, Schlaf - Grand mal und psychomotorische Anfälle andererseits regelmäßig zusammen vor, während andere Kombinationen selten waren und zufällig wirkten? Was mit einer solchen biologischen Betrachtungsweise zu erreichen war, wurde nirgends deutlicher als 1953 in der klinischen Beschreibung des Syndroms, für das er und sein Mitautor Walter Christian zunächst den Namen Impulsiv - Petit Mal vorschlugen und das heute Juvenile Myoklonische Epilepsie heißt, oft aber auch als Janz-Syndrom bezeichnet wird. Die Beschreibung war umfassend und reichte bis zu typischen Verhaltensauffälligkeiten, die erst ein halbes Jahrhundert später als Ausdruck subtiler Dysfunktionen des Frontalhirns erkannt wurden.

1969 erschien sein Buch "Die Epilepsien. Spezielle Pathologie und Therapie", das die Summe seiner klinischen Analysen darstellt und sich durch einen einmaligen Reichtum an profunden, präzise beschriebenen klinischen Beobachtungen auszeichnet. Gleichzeitig markiert diese große Monographie auch das Ende einer Epoche, denn Janz war der Letzte, der den Versuch unternommen hat, das gesamte Gebiet der Epilepsien als Einzelner umfassend darzustellen.

Als nächstes großes Projekt nach dem Buch nahm er eine ausgedehnte genetische Studie in Angriff, in der die Nachkommen der von ihm ambulant betreuten Patienten über Jahre hinweg klinisch und elektroenzephalographisch untersucht wurden, beginnend in Heidelberg und kontinuierlich weitergeführt nach seiner Berufung in 1973 auf den Lehrstuhl für Neurologie am Klinikum Charlottenburg der Freien Universität Berlin. Dies führte u.a. dazu, dass er für 1986-1993 zum Vorsitzenden der Genetik-Kommission der International League against Epilepsy (ILAE) berufen wurde.

Dabei hatte er anfangs gezögert, den Ruf nach Berlin anzunehmen und sein geliebtes Heidelberg zu verlassen. Erst als sein Lehrer Paul Vogel ihm sagte, nun gelte es, aus der Enge Heidelbergs und der Epilepsie in die Weite Berlins und der ganzen Neurologie hinauszutreten, war die Sache entschieden. In Berlin entwickelte er sich zu dem großen klinischen Lehrer, als den seine Schüler ihn immer im Gedächtnis behalten werden. Hier war am Krankenhaus Westend eine neue neurologische Abteilung aufzubauen, die sich unter den Berliner Neurologien vor allem durch einen Akzent auf der Rehabilitation auszeichnen sollte. Denn als Neurologe war Dieter Janz in seiner Generation einer der prominentesten Vertreter der Heidelberger Schule der anthropologischen Medizin, in der es mit Victor v. Weizsäcker darum geht, den Patienten und sein Kranksein im leib-seelischen Kontext und seinen sozialen Bezügen zu verstehen. Viele der Jungen fühlten sich von dieser ungewohnten, über das rein Naturwissenschaftliche hinausgehenden Sicht lebhaft angesprochen. Dies hinderte aber nicht daran, an der jungen Abteilung die damals aktuellsten Methoden der Epileptologie, die Antiepileptikamessung im Blut und die Video-EEG-Doppelbilddiagnostik einzuführen und sich damit international zur Geltung zu bringen. Bei der ILAE übte Janz dann auch von 1973 – 1981 das Amt des Vizepräsidenten aus.

Parallel zu seiner Forschungstätigkeit war ihm immer darum zu tun, die Rahmenbedingungen für die Betroffenen auf allen Ebenen zu verbessern. So war er 1957 maßgeblich an der Gründung einer deutschen Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie beteiligt, der heutigen DGfE. Durch die Einrichtung einer speziellen Anfallsambulanz an der Universitätsklinik Heidelberg gab er den ersten Anstoß zum Aufbau eines bundesweiten Netzes von Anfallsambulanzen, die im Zusammenhang der Epilepsieliga zu einem wesentlichen Instrument der Verbesserung der Versorgung der Epilepsiepatienten in Deutschland wurden.

Wichtige Unterstützung bei dieser Entwicklung gab die Stiftung Michael, die 1962 von Dr. Fritz Harzendorf, dem Vater eines seiner Patienten, gegründet worden war. Mit Dieter Janz als Mentor entwickelte sie sich bald zu einem Instrument, mit dem immer wieder weiterführende Akzente gesetzt wurden: Stipendien für eine Spezialisierung in Epilepsie von Ärzten und anderen Berufsgruppen, ein Geräteprogramm zur adäquaten Ausstattung der Ambulanzen, Starthilfen für die Selbsthilfebewegung, Unterstützung von Fachtagungen zur Qualifizierung der Sozialarbeit für Epilepsie. Besonders am Herzen lag ihm die Entwicklung einer Reihe von Aufklärungsschriften über viele Aspekte der Epilepsie. Die Stiftung ergriff auf seine Anregung die Initiativen zur Gründung eines Informationszentrums Epilepsie und zur Einrichtung eines Epilepsiekuratoriums, das die Lage der Epilepsie in Deutschland kritisch beobachtete und Berichte darüber veröffentlichte. Der von ihm angeregte Michael-Preis für die beste wissenschaftliche Arbeit konzentrierte sich zunächst auf die deutschsprachige Epileptologie, hat sich aber seither zur wichtigsten internationalen Auszeichnung in unserem Fach gemausert.

Die Stiftung entwickelte sich zunehmend zu seinem Lieblingskind mit dem Filetstück der seit 1988 jährlich stattfindenden Praxis-Seminare für Epilepsie in Gargnano am Gardasee, bei denen er nie fehlte und die er auch noch in den letzten Jahren durch Abendvorlesungen voller Weisheit bereicherte.

Als Emeritus widmete Dieter Janz sich zunehmend der anthropologischen Medizin Victor v. Weizsäckers. Er war maßgeblich an der Gründung der Weizsäcker-Gesellschaft beteiligt und gehörte zu ihrem Gründungsvorstand. Er war Mitherausgeber der Gesammelten Werke Weizsäckers und arbeitete in den letzten Jahren konzentriert an der Edition seines Schriftwechsels.

Im Laufe der Jahre wurde Prof. Janz vielfach geehrt. Hervorzuheben sind der "Ambassador for Epilepsy" der internationalen Epilepsieorganisationen (1969), der Michaelpreis (1969), der Lifetime Achievement Award der internationalen Epilepsieorganisationen (1999) und die Otfrid Foerster - Medaille der DGfE (2004). Er war Ehrenmitglied der DGfE, des Stiftungsrats Michael, der Victor v. Weizsäcker - Gesellschaft und des Wissenschaftlichen Kuratoriums der Evangelischen Studiengemeinschaft sowie korrespondierendes und Ehrenmitglied mehrerer internationaler Fachgesellschaften.

Sein lebenslanges Engagement für die junge Generation kam vor einem Jahr noch einmal in ganz besonderer Weise zum Ausdruck: Als auf Anregung der Jungen Epileptologen in der DGfE ein Nachwuchsförderungspreis eingerichtet wurde, war er gerne einverstanden, dass wir diesem seinen Namen gegeben haben. Der Dieter Janz - Preis zur Förderung des epileptologischen Nachwuchses wurde erstmals im Rahmen der Jahrestagung der DGfE in Jena am 4. Februar 2016 verliehen. Allen, die dabei waren, wird unvergesslich bleiben, dass der Namensgeber es sich nicht nehmen ließ, eigens hierfür aus Berlin anzureisen und den Preis mit einer bewegenden Laudatio zu übergeben, in der er seiner eigenen Anfänge als Forscher gedachte.

Wir denken an Dieter Janz mit großer Dankbarkeit und werden seine immer wieder überraschenden und befruchtenden Gedanken sehr vermissen.

(Peter Wolf, Kopenhagen und Florianópolis)

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